Dienstag, 22. August 2006
21.38. Endlich zu Hause.
Nach einem vollen Tag Unterricht und einer Präsentationsvorbereitung (Überstunden!) für „Language Contact“ am Mittwoch bleibt ein wenig Zeit für einen entspannten Abend am Computer (*freu*).

Das Programm der Summer School stellt das genaue Gegenteil zu dem (angeblich!) lauen Studentenleben dar – vier Kurse pro Tag, Beginn 8.30, Ende 18.30 und für diejenigen, die noch nicht genug haben: Abendlesungen von 19.00-21.00. Da ist ein Durchaltevermögen der Bundeswehr gefragt, vor allem wenn man sich, nachdem man den ganzen Tag im Halbschlaf, durch die Kurse gequält hat, zum Abend auf einmal aufwacht, soll der Tag auch schon zu Ende sein (!), denn in 6 Stunden heißt es wieder „pay attention to linguistic theories and look at morphosyntactic structures“!!
Man kommt nach Hause und wird von dem Computer erwartet, aber wenn ihr glaubt, dass man sich jetzt mit E-Mails-Schreiben und Telefonieren vergnügen könnte – falsch gedacht!!! Denn das Studentenwohnheim in Ludwigsburg, das von der Sauberkeit (in meiner Heimat haben Studenten diesen Luxus nicht!) her durchaus passabel ist, befindet sich außerhalb von Stuttgart und stellt den Bewohnern weder Telefon noch Internet zur Verfügung. Hier musste ich erfahren, was Abstinenz bedeutet!!! Aber der Mensch ist äußerst anpassungsfähig und gewöhnt sich schnell an schlechtere Umstände. Man sucht sich eben Nachbarn, die über eine Handyflaterate (wobei „Flaterate“ symbolisch zu verstehen ist, also an Dateiuploads oder Ähnliches ist nicht zu denken!) verfügen und quartiert sich bei denen ein.
Ok, so dreist bin ich dann doch nicht (?) und deshalb schreibe ich meine Blogeinträge offline und stelle sie nachträglich ins Netz. Oder wir schreiben mit Karina zusammen, bei Karina (die übrigens 10 Min. von der Stadt in einem Studentenhotel mit Internet & Telefon lebt!).

22.08. Wie schnell vergeht doch die Zeit, eigentlich muss ich bis morgen noch einen Text lesen, aber vorher bekommt ihr noch meine „Story von heute Morgen“ unter dem Titel:

„Eigene Doofheit“

Bekanntlich wirkt sich chronischer Schlafmangel auf die geistigen Fähigkeiten aus. Das habe ich heute morgen selbst zu spüren bekommen. Rechtzeitig aufgewacht, in Ruhe gefrühstückt (ich musste erst zum 2.ten Kurs um 11.00), Essen eingekauft, warf ich auf dem Rückweg einen zufälligen Blick auf die Uhr und…. Ach du Schreck: 10.26. 10.32 kommt die Bahn!! Ok, Tüten in die Ecke schmeissen – ausgepackt wird später, Tasche packen und los… Noch einen Blick auf die Uhr: 10.30…. Das war’s! Der nächste Zug kommt um 11.02, d.h. 30 Minuten Verspätung!! Und dabei ist das mein Lieblingskurs „language contact“, den ich auf keinen Fall verpassen wollen würde! Warum fahren die Bahnen nur alle 30 Minuten..?? Würde ich doch in Stuttgart wohnen…!!
So ein Ärger, naja, jetzt heisst es handeln!!! Ab zur Hauptstraße und trampen! Dazu muß ich sagen, dass ich das eigentlich nicht mache, aber es ist ja mitten am Tag und hell, hier kennt mich keiner und irgendein netter Mensch wird sich schon finden, der zufällig gerade nach Stuttgart fährt und mich mitnimmt! Daumen raus – ok, das erste Auto war voll, aber der könnte anhalten… Tatsache, es hält ein Kombi an:
Ich: „Fahren Sie zum Zentrum?“
Der Fahrer: „Ja, steig ein“.

Der Fahrer spricht mit einem leichten Akzent, der seine slavische Herkunft verrät (Hi, hi, was für ein Zufall!). Während ich überlege, ob ich ihn auf russisch ansprechen soll, fragt er mich, wo ich denn genau hin wolle. Ich sage zum Bahnhof, worauf er meint, er würde mich kurz vorher rauslassen.
Nach 5 Min. Fahrt hält er an einer Bushaltestelle in der Nähe vom Polizeipräsidium (!) an und sagt, ich solle hier aussteigen! Na toll, anscheinend hat er nicht Stuttgart Zentrum gemeint, sondern das Zentrum von Ludwigsburg, zu dem auch mein Wohnheim gehört… Mist! Naja, schnell gucken, wann der Bus fährt, dass man zur Not zumindest den (S)-Bahnhof in Ludwigsburg (eine Haltestelle nach meiner) erreicht, um die nächste Bahn noch zu kriegen, und weiter zu trampen. Aber diesmal weniger erfolgreich: auf der dreispurigen Strasse mit viel Verkehr will niemand anhalten, die Leute gucken mich neugierig aus ihren Autos heraus an, aber fahren vorbei!
Was hab ich mir da schon wieder eingebrockt, typisch – erst handeln, dann nachdenken, also wenn ich jetzt die nächste Bahn auch noch verpasse..!!! Ok, beten..!
Und endlich… es hält ein Junge an.
Meine Frage: „Fährst du zum Bahnhof?“
Der Junge: „Naja, ich bring dich dahin!“
Ich denke: „oh, Gott sei Dank - neue Hoffnung doch noch pünktlich zu kommen!“
Aber halt, zuerst nachfragen: „du meintest doch auch den Bahnhof in Stuttgart, oder?“
Der Junge (lacht): „Nein, natürlich nicht, ich meinte den in Ludwigsburg! Aber da kannst du mit der Bahn weiter.“
:-( !!!
Ok- ich habe alles versucht..
Zumindest verpasse ich nicht die nächste Bahn!
Unterwegs fragt mich der Junge woher ich komme; ich erzähle ihm, dass ich in Bielefeld studiere und für drei Wochen hier zu einem Seminar bin. Woraufhin er lacht und antwortet: „ach deshalb, ich hab mich schon gewundert, dass dich hier trampen zu sehen (er kommt nämlich selbst aus Berlin, wo trampen durchaus üblich ist!). In Stuttgart dagegen macht das nämlich keiner!
Ok, deshalb haben mich die Leute auch so doof angeguckt… Gut zu wissen! „Naja, da hab ich Glück gehabt“ – sage ich dann zu ihm.
Am Bahnhof gucke ich dann nach dem Gleis, immer-noch-nicht-glauben-wollend, zu spät zum Kurs zu kommen.. Bis mich die nächste absurde Idee überkommt: Mein Ticket! Damit müsste ich doch auch mit einem RE fahren können..?? Das ist zwar kein ICE, aber der hält nicht an allen Haltestellen, das müsste meine Ankunft an der Uni verkürzen… Ab zum Plan, in 4 Minuten kommt ein RE und der nächste Halt ist Stuttgart Hbf!!!
Nachdem ich dann am Reisezentrum ein freundliches: „Ja, Sie könne’ mit de’ Ticket fahren“ vernommen habe, wird am passenden Gleis der RE genommen, der mich mit lediglich 20 statt der vorkalkulierten 30 Minuten Verspätung in Stuttgart abliefert – immerhin!
Jetzt fragt ihr euch wahrscheinlich: und wozu die ganze Hektik? Tja, in der Tat, das frage ich mich auch. Aber man versuchet aus allem das Positive herauszuholen und das wären in dem Fall zwei Sachen, nämlich die Erkenntnis, dass
ich die Fortbewegungsmöglichkeit des Trampens für die Zeit in Stuttgart mit
der Benutzung des RE’s ersetzen muss, die mein Ticket anscheinend ermöglicht!

Fazit: Ein Informationsgewinn ist auch ein Gewinn, somit Ende gut, alles gut!

22.50 Zeit fürs Bett… Halt! Noch den Text lesen oder doch morgen im Zug? Und jetzt lieber Programmieren & Musikhören…

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